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Jedes Mal, dass ich zum Schreiben anfange, fange ich auch gleich an, alles was ich bis jetzt geschrieben habe, zu überarbeiten. Naja, und wenn ich lese, was ich gerade geschrieben habe, merke ich, dass ich mich nicht ganz an der vor kurzem geposteten Gliederung halte, und ich bin mir nicht sicher, ob es besser oder schlechter so ist. Nichtsdestotrotz poste ich jetzt ein kleines Stück meiner Arbeit. Ich glaube, wenn ich fertig bin, wird der Artikel ungefähr 4 A4 Seiten mit 2 Spalten und Schriftgröße 11 oder 10 sein, was eh mein Plan entspricht.

„Die auslösenden Momente der deutschen rassenkundlichen und rassischen Denkens“?
Johann Friedrich Blumenbach in den Augen von Hans Plischke und Hermann Blome

Einer der bedeutendsten Wissenschaftler_innen des spät 18. Jahrhundert für Naturgeschichte und die entwickelnden Lehre Anthropologie war Johann Friedrich Blumenbach. Eine kurze Suche nach ihm in einer biographischen Enzyklopädie wird einiges um den Anthropologen, der in Göttingen im spät 18. und früh 19. Jahrhundert tätig war, ergeben. Blumenbach kategorisierte die Rassen auf Grund von Schädelmessungen -- er war der erste Wissenschaftler, der Schädelmessungen für Rassenkunde anwendete. Blumenbach stellte eine Rassentheorie auf, nach der es fünf Rassen der Menschheit gäbe, allerdings, die alle aus einem Stamm kommen und die alle gleichwertig sind.
Das klingt alles nicht so bedenklich, wenn auch klar, dass Rassentheorien aus dem 18. Jahrhundert immer die eurozentrischen und internalisierten rassistischen Einstellungen der Zeit beinhalten müssen. Doch neben eine Auflistung seiner Werke taucht unter der Literatur ein Buch von Hans Plischke auf: Johann Friedrich Blumenbachs Einfluß auf die Entdeckungsreisen seiner Zeit. Der Titel wirkt auch ganz mild, und der Namen des Autors sagt wahrscheinlich wenigen Leute was. Aber Hans Plischke, der, wie Blumenbach, an der Universität Göttingen als Professor arbeitete, war einer der aktivsten Ethnologen, die im nationalsozialistischen Sinne arbeitete. Sein Buch über Blumenbach, das im Jahr 1937 erschien, muss im Kontext der nationalsozialistischen Begeisterung für und Hoffnung auf neue deutsche Kolonien als Propaganda und Legitimierung nationalsozialistischer Ziele gesehen werden.
Hans Plischke war nicht der einzige Göttingen Ethnologe, der sich für Blumenbach interessierte. Sein Student und später Assistent Hermann Blome beschäftigte sich auch mit Blumenbach, vor allem in seiner Magisterarbeit Der Rassengedanke in der deutschen Romantik und seine Grundlagen im 18. Jahrhundert. Diese wurde 1943 von J. F. Lehmanns Verlag mit Förderungen vom Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands gedruckt. In dieser Arbeit geht es um die „Frage nach den auslösenden Momenten deutschen rassenkundlichen und rassischen Denkens.“ Blumenbach spielt eine prominente Rolle neben Figuren wie Kant und anderen, die im 18. Jahrhundert Rassentheorien aufstellten. Hier wird Blumenbach als wichtiger Vorbild und quasi „Auslöser“ des rassischen Denkens bzw Rassenbewusstseins dargestellt, obwohl er eigentlich rassistische Einstellungen ablehnte und immer wieder die Gleichwertigkeit aller Rassen betonte.
Wieso könnte es denn zu dieser Vereinnahmung Blumenbachs durch die nationalsozialistischen Ethnologen Plischke und Blome kommen?

Blumenbach, seine Forschung und seine Ideen
Um diese Fragen nachzugehen, müssen wir erst ein Blick in Blumenbachs Leben und Schriften werfen. Johann Friedrich Blumenbach wurde am 11. Mai 1752 in Gotha geboren, wo sein Vater als Professor und Prorektor am Gymnasium arbeitete. Er studierte Medizin zuerst in Jena, aber zog bald nach Göttingen, wo er seine Doktorarbeit schrieb. Die auf Latein verfasste De generis humani varietate nativa wurde 1776 veröffentlicht. (Die erste deutsche Übersetzung erschien 1798 mit dem Titel Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte.) Blumenbach wurde auch 1776 Kurator der anthropologisch-ethnologischen Sammlungen und außerordentlicher Professor in Göttingen und 1778 ordentlicher Professor an der Universität. Blumenbach blieb in Göttingen bis zu seinem Tod am 22. Januar 1840.
Laut dem Eintrag über Blumenbach in der Deutschen biographischen Enzyklopädie "gilt [er] als Begründer einer physichen Anthropologie, die sich auf anatomische und physiologische Mermale stützt, aber auch auf ethnologisch-kulturelle Zusammenhänge verweist." Der erarbeitete eine vergleichende Anatomie, die er in seinen Bücher Handbuch der Naturgeschichte, 1779/80, und Handbuch der vergleichende Anatomie, 1804, 1824 veröffentlicht.
Blumenbachs andere Forschungsgebiete umfasst auch Entwicklungstheorien und Reiseberichten. Blumenbach interessierte sich für Embryonalentwicklung und (Re)generation von Organen und Glieder, und er verwendete den Begriff „Bildungstrieb“, um seine Ideen zu beschreiben und erklären, wie in Über den Bildungsbetrieb und das Zeugungsgeschäft.
Blumenbach las auch viele Berichte aus Entdeckungsreisen und wertete die für nutzliche ethnologische Information aus. Er sammelte Reiseberichte und erwarb auch vieles für die ethnographische Sammlung in Göttingen. Durch seine Vorlesungen an der Universität Göttingen erregte Blumenbach Interesse in seinen Studenten auf weitere Entdeckungsreisen, welche einige Studenten von ihm unternahmen. Blumenbachs eigener Zugang zu Reiseberichten wird durch eine Vorrede dokumentiert, der u.a. im Buch von Hans Plischke zu finden ist.
Blumenbach war und ist aber vor allem für seine Rassentheorie bekannt. Schon in seiner Doktorarbeit teilte er, ähnlich zu seinem Zeitgenossen Kant, die Menschheit in vier Rassen bzw. Varietäten ein. Er überarbeitete und ergänzte seine De generis humani varietate nativa in den vielen Ausgaben und kam schon bei der zweiten Auflage auf fünf Varietäten der Menschheit. Er meinte, dass alle Rassen aus einer Urrasse stammten. Blumenbach unterschied zwischen Rassen auf Grund Merkmale wie Schädelgestalt, Zähne, und körperliche Konstruktion. Diese Merkmale und seine Methoden werden in dem Werk Geschichte der Beschreibung der Knochen des menschlichen Körpers, 1786, näher erleuchtet. (Seine Lehre übten Einfluss auf der Entwicklung der Kraniometrie.)
Die fünf Rassen nach Blumenbach sind die Kaukasische, die Mongolische, die Äthiopische, die Amerikanische, und die Malaiische. Schon in den Namen, die er verwendet, versucht Blumenbach, sich von den deutlichen rassistischen Einstellungen mancher Wissenschaftler und Rassentheoretiker zu distanzieren. Blumenbach nennt die Rassen nicht nach Farben, sondern nach etwa dem geographischen Ort, wo die „Rassen“ hauptsächlich zu finden sind. Statt von der weissen Rasse, schreibt Blumenbach über die kaukasische Rasse, welche entsteht aus den Bewohner_innen Europas (außer die Finnen und Lappen) und Asien „diesseits des Ob, des Kaspischen Meeres und des Ganges“ und Nordafrikaner_innen. Blumenbach hat den Begriff „Kaukasier“ eingeleitet und meinte, dass die Bewohner_innen des Kaukasus die besten Beispiele der Rasse sind. Und statt von einer Schwarzen oder „Neger“ Rasse zu reden, verwendet Blumenbach die Beschreibung „Äthiopische“. Obwohl Blumenbach öfters das Wort „Neger“ in anderen Texte verwendete, betonte er die physikalischen Zuschreibungen der Rassen nicht durch seine Namen für die verschiedenen Rassen.
Aber durch manche Aussagen zeigt sich Blumenbach als eurozentrisch. In seiner Beschreibung der Kaukasischen Rasse steht, dass die „nach den europäischen Begriffe von Schönheit an Gesichts- und Schädelform die bestgebildeten Menschen“ sind. Er erkennt, dass diese Schönheitsidealen europäisch und nicht universal sind, aber dieser Satz wiederholt und verbreitet eben diese Schönheitsidealen.
Blumenbach war überzeugt, dass alle Rassen aus einem ursprünglichen Stamm. Blumenbach behauptete:
„Die Causasische Rasse ist nach allen physiologischen und historischen Datis wahrscheinlich der Urstamm, der mit der Zeit durch die Verschiedenen Ursachen der Degeneration in beiden extremen, nämlich einerseits in die Mongolische R. mit den platten Gesichte; und anderseits in die Aethiopische mit den prominirenden Kiefern, ausgeartet. Die Amerikanische macht in der Bildung den Übergang zu von der Caucasischen zur Mongolischen, so wie die Malayische zu der Aethiopichen.“
Obwohl Blumenbach sich nicht als rassistisch positionieren wollte, entspricht diese Theorie manche rassistische Vorstellungen, v.a. dass die kaukasische bzw. weiße Rasse die „reinste“ ist und dass alle anderen Rassen als „degeneriert“ gelten. Seine teilweise sehr vorsichtige und ausgedachte Formulierungen konnten sich nicht vor rassistischen Auffassungen schützen.

Zum Rassenbegriff
Am Anfang seiner Karriere schrieb Blumenbach gar nicht von Rassen. Weil De generis humani varietate nativa auf Lateinisch geschrieben wurde und in den ersten drei Editionen erschien, beteiligte Blumenbach sich zuerst nicht in den deutschsprachigen Diskursen über den Rassenbegriff. Blumenbach schrieb von varietates und gentes. Nicht einmal in der 1798 deutschen Übersetzung (Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte) kommt das Wort „Rasse“ vor – stattdessen wird „Varietäten“ verwendet.
„Rasse“ als Begriff taucht erst in der fünften Ausgabe seiner Handbuch der Naturgeschichte in 1797 auf, wo Blumenbach unterschied nach Kant zwischen „Rassen“ und „Spielarten“. Mit „Rasse“ sind die Eigenschaften gemeint, die sich durch „Ab- bzw Ausartung“ entwickeln und die notwendigerweise und ohne Ausnahme vererbt werden.
Kant propagierte schon früher den Begriff „Rasse“ (zB in „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse“). Kant lieferte die Definition:
„Unter den Abartungen, d. i. den erblichen Verschiedenheiten der Thiere die zu einem einzigen Stamm gehören, heissen diejenigen, welche sich sowohl bei allen Verpflanzungen (Versetzungen in andere Landesstriche) in langen Zeugungen unter sich beständig erhalten, als auch in der Vermischung mit anderen Abartungen desselben Stammes helbschlächtige Junge erzeugen, Racen“.
Blumenbach und Kant betrachteten „Rasse“ als eine biologische Kategorie, aber ohne zu glauben, dass Rassen als eigenständigen Spezies oder Gattungen gelten. Beide zählen zu den Monogenetiker_innen, die glaubten, alle Menschen kamen aus einem Stamm. Die standen im Gegensatz zu Theorie der Polygenese, die im 18. und 19. Jahrhundert Anhänger fand. Die Polygenetiker_innen glaubten, dass alle Menschen sich nicht aus einem sondern zwei oder mehr Stammen entwickelten, was auch eine rassistische Abgrenzung gegenüber „nicht-Weißen“ bedeutete. Diese Position wurde etwa von Voltaire und Christoph Meiners, Blumenbachs Kollegen in Göttingen, u.a. vertreten. Blumenbach konkretisiert seine Position gegen die Polygenetiker_innen in Aussagen wie:
„Folglich sehe ich auch nicht den mindesten Scheingrund, warum ich, naturhistorisch und philosopisch betractet, nur irgend bezweifeln dürfte, daß alle Völker aller bekannten Himmelsreiche zu einer und eben derselben Gattung (Species) gehören“ (Beyträge zur Naturgeschichte).
Obwohl Blumenbach erst 21 Jahre nach der Veröffentlichung seiner Doktorarbeit (und Anfang seiner Karriere) den Begriff „Rasse“ auf Deutsch verwendete, übte er Einfluss auf die Aufnahme des Rassenbegriffs und der Rassenkategorien aus, vor allem in der Naturwissenschaft. Seine Methodologie der Schädelmessungen gilt als besonders wissenschaftlich, besonders im Vergleich mit den Methoden, die später als Phrenologie oder Kranioskopie bezeichnet wurden. Auch heute wird Blumenbach von Historiker_innen viel positiver betrachtet als andere zeitgenössischer Rassentheoretiker_innen auf Grund seiner „aufgeklärteren“ Haltungen..

Hans Plischke: begeisterter Nationalsozialist und möchtegerner Kolonialist
Hans Plischke und Hermann Blome zeigten sich im Gegensatz zu Blumenbach als dezidierte Rassisten. Hans Plischke wurde 1890 geboren und studierte in München, Göttingen und Leipzig. 1928 wurde Plischke Dozent an der Universität Göttingen, wo er auch für die ethnographische Sammlung zuständig war, und 1934 wurde er ordentlicher Professor. Während seiner ersten Jahren in Göttingen wurde Völkerkunde als unabhängiges Fach eingerichtet (1932) und Plischke leitete diese Fachrichtung mit kurzer Unterbrechung bis 1959.
Hans Plischke erlebte 1933 als entscheidendes Jahr – er ergab sich als bekennenden und bemühten Nationalsozialist. Gleich 1933 tritt Plischke die NSDAP bei und ließ seine Unterstützung der Nationalsozialist_innen nicht bei Parteimitgliederschaft bleiben. 1933-39 war Plischke förderndes Mitglied der SS, und er war auch Mitglied sowohl des Nationalsozialistischen Dozentenbundes als auch des NS-Lehrerbundes und der Reichsdozentenschaft. Er arbeitete sogar als “Gutachter für völkerkundliches Schrifttum für die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutz des NS.Schrifttums, Berlin.“ (In dieser Position berichtete er beispielsweise über die Mitarbeit eines jüdischen Fachkollegen in der Vorbereitung eines Lehrbuches in denunzierender Art.)
Plischke erlebte viel Erfolg während der NS-Zeit. So wurde er 1934 ordentlicher Professor, und von 1934/5 war er Dekan und 1941-3 Rektor der Universität Göttingen. 1936 sah die Eröffnung des Völkerkundliches-Museum (am damaligen Adolf-Hitler-Platz!). Obwohl dieses mit dem Anfang des Zweiten Weltkriegs schließ, gelang es Plischke, weitere Stücke für die ethnographische Sammlung zu erwerben (wie zB eine Sammlung aus dem besetzten Lodz). Als Dekan und Rektor leitete Plischke nach dem Führerprinzip; er gab Positionen NS-nahen Professoren wider die Wahl der Fakultät. Er setzte sich auch gegen jüdischen Kollegen ein. So forderte Plischke die Entlassung des Historikers Alfred Hessel: „Er ist Jude. Daher ist es notwendig, ihn auszuschalten.“
1946 wurde Plischke auf Grund seiner NS-Tätigkeiten suspendiert. Er wurde ursprünglich als „Aktivisten, Militaristen und Nutznießer“ eingestuft, aber nach mehreren Entnazifisierungsausschüsse wurde Plischke in einem Entscheid von September 1948 für „entlastet“ gehalten. Ab 1949 lehrte Plischke wieder an der Universität Göttingen und trat wieder als Institutsdirektor für Ethnologie bis er 1959 emitierte. Plischke starb 1972.
Plischke und Blumenbach hatten mehr als die Ethnologielehre an der Universität Göttingen als Gemeinsamkeit – die teilten auch eine Forschungsinteresse für Reiseberichte. So schrieb Plischke über Blumenbach und seine Studenten, die auf Entdeckungsreisen fuhren in Johann Friedrich Blumenbachs Einfluß auf die Entdeckungsreisen seiner Zeit. Das Buch erschien 1937. Im Buch geht es weniger um Blumenbach selbst als die Studenten, die nur teilweise in direkter Kontakt mit Blumenbach blieben.
Der Einfluss Blumenbachs besteht hauptsächlich aus der Behauptung, das Stoff seiner Vorlesungen regte seinen Studenten zu Entdeckungsreisen an. Dazu sollte Blumenbach einige Schüler in Verbindung mit Vertreter_innen der „Association for promoting the discovery of the interior part of Africa“ gebracht haben. Allerdings endeten die Entdeckungsreisen für vier von Blumenbachs Studenten mit dem Tod. Da die toten „Entdecker“ kaum Berichte schrieben bzw. schreiben konnten, wurden sie und Blumenbachs Einfluss an sie aus der Geschichte verloren. So schrieb Plischke dieses Buch, um diese „Ungerechtigkeit“ zu beheben und Blumenbachs Ruhm auszubreiten.
Am spannendsten in Plischkes Buch sind nicht seine eigenen Bemerkungen, sondern die Originaltexte von Blumenbach, die sich im Anhang befinden. Einer ist Blumenbachs Vorrede zu Sammlung seltener und merkwürdiger Reisegeschichten aus 1789. Hier warnt Blumenbach vor unkritischem Umgang mit Reiseberichten – nicht alles was in Reiseberichten steht, stimmt. Manchmal schreiben zwei oder mehr Personen von demselben Ort und denselben Menschen zur selben Zeit und schreiben trotzdem komplett unterschiedliche und widersprüchliche Sachen. Dieser Appell an das kritische Denken ist leider auch Plischke entgangen.
Der andere Text ist ein Brief von Blumenbach an Friedrich Hornemann, einen von den Studenten Blumenbachs, der nach Afrika auf eine Entdeckungsreise gefahren (und gestorben) ist. Es besteht aus 45 naturwissenschaftliche und anthropologische Fragen. Hier wird ständig von „Negern“ geredet, im Gegensatz zu dem „Äthiopischen“ Rassenbegriff, den Blumenbach in seiner Beyträge zur Naturgeschichte. Viele von den Fragen zeigen welche Vorurteile Blumenbach hatte und in wie weit er manche Vorurteile kritisch gegenüber steht. So gibt es Fragen wie: „Ist nicht manches übertrieben in der Behauptung von der allgemeinen Leichtigkeit womit die Negerfrauen gebären sollen?“ Blumenbach hinterfragt den Vorurteil, aber in der Frage Formulierung wird der Vorurteil auch wiederholt und bekräftigt. Andere Fragen von Blumenbach sind möglicherweise unbedenklich aber könnten auch rassistisch aufgefasst bzw. sind rassistisch geladen, wie die Aufforderung: „Möglichst genaue Nachrichten von menschenähnlichen Affen einzusammeln.“ Diese Aufforderung kann nicht ganz neutral gesehen werden, weil die „Ähnlichkeit“ oder „Nähe“ der Afrikaner_innen zu Affen lange eine rassistische Behauptung war und Blumenbach bekannt sein musste. In diesem letzten Brief entsteht eine Zweideutigkeit der Vorstellungen und Vorurteilen Blumenbachs, wobei Plischke die Schriften in seiner rassistischen Weltanschauung anpassen konnte.
Obwohl Blumenbachs Einfluß im Jahr 1937 veröffentlicht wurde, also bevor der Zweite Weltkrieg begann, muss das Buch im Kontext nationalsozialistischer Kolonialpolitik gesehen werden. Plischke zeigte sich eben für diese Politik begeistert. Schon 1934 hielt Plischke eine „Übung zur Geschichte und Bedeutung des deutschen Kolonialbesitzes.“ Es scheint, als ob Pliscke hoffte, koloniale „Forschungsreisen“ im Vorbild von Blumenbach unter seinen Studenten anzuregen.
Plischke wollte Völkerkunde/Ethnologie als praktische Kolonialwissenschaft verkaufen. 1940 organisierte Plischke eine Tagung Völkerkundler an der Universität Göttingen, die am 22. und 23. November stattfand. Diese „Arbeitszusammenkunft“ hatte die Aufgabe:
„in der deutschen Völkerkunde alle Kräfte zu einer leistungsvollen Mitarbeit an den großen kulturgeschichtlichen Fragen aufzurufen, die durch die deutsche Schicksalswende in der Vordergrund des Denkens und Forschens getreten sind;
Klarheit zu schaffen über den Dienst, den die völkerkundliche Wissenschaft der deutschen Kolonial-, insbesondere Eingeborenenpolitik leisten kann.“
So sollten Völkerkundler deutschen Besatzer durch ihr Wissen von Eingeborenen helfen, diese auszubeuten und zu unterdrücken. Dieser Anspruch steht im deutlichen Gegensatz zu Blumenbachs Betonung, dass alle Rassen gleichwertig sind, aber das hinderte Plischke nicht daran, Blumenbach als großer Vorbild zu betrachten und schätzen.

Hermann Blome und der „Rassengedanke“
Hermann Blome, Student und später Assistent Hans Plischkes, ist ein fast unbeschriebenes Blatt. Es gibt kaum was über ihn zu finden, ob im Internet oder in Bibliotheken. Blome wurde 1909 geboren. Blome bekam seine Doktorrat 1940 in Göttingen. Seine Doktorarbeit, Der Rassengedanke in der deutschen Romantik und seine Grundlagen im 18. Jahrhundert, wurde, wie schon erwähnt, 1943 mit Förderungen des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands veröffentlicht. Blome blieb als Assistent zu Plischke bis 1951 an der Institut für Völkerkunde an der Universität Göttingen. Im Gegensatz zu Plischke, gibt es keine veröffentlichten Informationen über einen Entnazifisierungsprozess. Es bleibt unklar, wie er eingestuft wurde oder unter welchen Umstände er aufhörte, an der Universität zu arbeiten.
Es scheint, als ob Blome nach dem Zweiten Weltkrieg eine gewisse „Arbeitskreis für Deutsche Dichtung“ angehörte. Diese Arbeitskreis veröffentlichte einige Bande deutscher Dichtung, wie zB eine kleine Band Gerda von Buttlar-Below: Eine Auswahl aus Poesie und Prosa, die auch 1943 Heimat des Blutes schrieb. Die Bände, die von Blome mithergestellt wurden, tragen weniger suspekte Titeln, allerdings sind auch an Autoren wie Moritz Jahn gewidmet, der auch unter Nationalsozialismus beliebter und mit Ehren gezeichneter Dichter war. Es entsteht den Eindruck, dass Blome sich von Nationalsozialismus nicht distanzierte. Wann und wie er starb bleibt ein Geheimnis.
Blomes Rassengedanke ist ein (pseudo-wissenschaftlicher) Versuch, die „auslösenden Momente deutschen rassenkundlichen und rassischen Denkens“ zu skizzieren. Dadurch soll einerseits das Rassenbewusstsein erregt werden, anderseits dient es die „historische Rechtfertigung dieses Denkumschwungs“, der u.a. durch die Nürnberger Gesetze charakterisiert wird. Blome findet es außerdem schade, dass die deutschen Schulkinder neben Mendel und Darwin nicht über Blumenbach lernten. Dies will Blome ändern, durch das Auszeichnen „wichtiger“ deutscher Beiträge zur Rassenkunde vor Mendel und Darwin.
Gleich am Anfang stellt sich das Buch als unwissenschaftliches Propaganda dar. In der Einleitung definiert Blome seine „Rassenidee“ als: „die Idee von der Reinhaltung und Züchtung körperlich-geistig-seelischer Wertgegebenheiten.“ Schon hier ist zu sehen, dass Blome sich nicht auf eine durch naturwissenschaftliche Merkmale bestimmte Definition von Rassen stützt, sondern bezieht sich auch auf angenommene geistige und seelische Eigenschaften der Rassen. Blome geht extrem unkritisch und verwirrend mit Begriffe um, ganz im Gegensatz zu den sorgfältig konstruierten Definitionen von Blumenbach und Kant. Blome zieht nie eine Trennlinie zwischen einen populären und einen wissenschaftlichen Rassenbegriff.
Blumenbach nimmt eine besondere Stelle in Dem Rassengedanke als Naturwissenschaftler und „Rassenkundler.“ Blumenbach und Immanuel Kant werden als die großen deutschen Rassendenker stilisiert, die das Rassenbewusstsein erst aufweckten. Blumenbach und Kant verstünden die Wichtigkeit der Entwicklung eines Rassenbegriffs, im Gegensatz etwa zu Herder, den „der Humanitätsgedanke hinderte“ den Rassenbegriff aufzugreifen.
Für Blome ergibt sich Blumenbach als „rassischen“ (heute wohl „rassistischen“) Denker. In Blumenbachs Aufzählung der Rassen „stellte er die Kaukasier an die Spitze“ als „Hauptrasse“ (statt „Urrasse“), so Blome. Blumenbach erkenne die kaukasische Rasse als die Schönsten mit den schönsten Kopfform, und er zeichne die mongolische und äthiopische Rassen als die hässlichsten „Abartungen.“ Durch kleine Änderungen in Blumenbachs Wortwahl kann Blome Blumenbach als rassis(tis)cher Denker schildern.
Blome schreibt weiter, dass Blumenbach betonte, es gibt keine klare Grenzen zwischen die Varietäten, die er aufstellte. Obwohl Blome das erwähnt und fügt sogar ein längeres Zitat dazu, scheint er unfähig, daraus Schlüße zu machen. Nämlich das Blumenbach deswegen plädiert, dass die Rassen gleichwertig und gleich fähig sind. Blome blendet eben aus, wie vorsichtig Blumenbach versuchte mit dem Rassenbegriff umzugehen. Öfters verwendete Blumenbach „Varietäten“ statt „Rasse“ und sein Rassenbegriff war auf jeden Fall differenzierter als der, der Nationalsozialist_innen. Nichtsdestotrotz macht Blome Blumenbach zu Vorläufer des nationalsozialistischen Rassendenkens.
Blome betonte auch Blumenbachs Idee des „Bildungstriebs“ als Anfang eines genetischen und biologischen Rassenbegriff. Die Idee von Bildungstrieb, was Blome auch „Lebenskraft“ nennt, ist eher eine philosophische Postulat, die nie wissenschaftlich ernst genommen wurde und nicht einfach erklärbar ist – es wirkt etwa wie Stammzellen. Im Gegensatz zu früheren Rassentheorien, die die Merkmale unterschiedlicher Rassen durch Klima und Nahrung erklärten, legt Blumenbach nah, dass die „Ausartung“ der Rassen zu einem gewissen Bildungstrieb zurückgeführt werden kann. Nach Blome war Blumenbach durch diese Theorie auf „den Weg auf die wirklichen Ursachen“ der Rassenmerkmale. Dass Blome überhaupt von Bildungstrieb schrieb, was komplett unwissenschaftlich und eher eine der peinlichsten Ideen Blumenbachs ist, bestätigt einerseits eine blinde Begeisterung für Blumenbach und anderseits einen unkritischen Zugang zu der Kategorie „Rasse.“
Ein Letztes bedarf Erwähnung. Blome inkludierte die „repräsentativen“ Abbildungen der fünf Rassen, die Blumenbach in seiner Abbildungen Naturhistorischer Gegenstände druckte, in seinem Buch. Sara Eigen von Vanderbuilt Universität schreibt in einem Aufsatz „Self, Race, and Species: J. F. Blumenbach's Atlas Experiment“, dass diese Abbildungen berühmte Menschen aus den verschiedenen Rassen darstellt und dadurch versucht, die Idee einer Überlegenheit einer (der „weißen“) Rasse zu widerlegen. Das Beispiel einer Person der „äthiopischen“ Rasse war der Prediger Jacob Joseph Eliza Capitein, der sich „durch seine Predigten und Schriften“ auszeichnete. Blumenbach zitiert auch über den Afro-Amerikanischen Wissenschaftler Benjamin Banneker, dass er ein Beweis dafür sei, „dass sich die Geistesfähigkeiten nicht eben nach der Hautfarbe richten.“ Da Blome die Abbildungen kannte, musste er auch diese Textstellen gekannt haben, aber er ließ die bewusst weg. So werden Blomes Bild von Blumenbach und sein Versuch ihn als rassischen Denker darzustellen nicht zerstört.
Es gibt noch viel mehr Beispiele von Blomes Rassismus und Bekenntnis zu Nationalsozialismus, die sein Buch prägen, aber diese sollen reichen, um zu ahnen, wie Blome verstand (und missverstand) Blumenbach und manipulierte Blumenbachs Aussagen und Gedanken, um in seine (nationalsozialistische) Weltanschauung anzupassen.

Und heute?
Es scheint, als ob Hans Plischke und Hermann Blome nur winzige Fussnoten der Geschichte geworden sind -- und das zu Recht. Die Beiden machten keine nennenswerten Beiträge zu ihrem Fach, sondern versuchten sich und die Völkerkunde durch nationalsozialistischen Gedankengut zu profilieren. Genau die Leute, die am besten geeignet waren, die nationalsozialistische Rassenpolitik zu kritisieren und dekonstruieren, zeigten sich begeistert dafür und versuchte, sie eine “wissenschaftliche” Grundlage zu schaffen. Diese Grundlage fanden die zum Teil in den Schriften von Johann Friedrich Blumenbach, den die als Vorgänger und Vorbild sah. Obwohl Blumenbach noch von manchen, die die Geschichte der Rassentheorien studieren, Aufmerksamkeit erregt, ruft er nicht mehr so viel Interesse hervor, als unter den Ethnologen in Göttingen während der NS-Zeit.
Schmale - 14. Jan, 11:05

Schmale

Sie schreiben durchaus spannend, auf diesem Weg sollten Sie unbedingt fortfahren. An der Grammatik müssen Sie am Schluss noch etwas feilen.

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