Dienstag, 21. Oktober 2008

Gedanken zum Essay "Kulture am Scheidewege" von Arnold Toynbee

Arnold J. Toynbee stellt in Kultur am Scheidewege die Frage "Wiederholt sich die Geschichte?", eine Frage, die er im gleich genannten Essay auf problematische Art und Weise beantwortet. Toynbee behauptet, dass die Geschichte sich wiederholt, aber dass die Menscheit nicht daraus beschließen muss, dass wir keinen freien Wille haben und keine aktive Rolle in der Geschichte bzw. Gegenwart spielen können. Auch wenn ich mit der Schlussfolgerung, dass die Menschen eine aktive Rolle in der Geschichte haben und dass die Zukunft nicht bestimmt ist, zustimme, find ich seine Argumentation extrem verkürzt, ausblendend und unwissenschaftlich.

Dieser Essay wurde ursprünglich auf Englisch im Jahre 1948 unter dem Titel "Civilisation on Trial" veröffentlicht. (Eine persönliche Anmerkung, ich hätte gern im Vorraus gewusst, dass der Essay ursprünglich auf Englisch war, denn Englisch ist meine Muttersprache, und ich hätte die Begriffe, die er verwendet, lieber auf Englisch gelesen. "Civilisation" ist ein sehr geladener Begriff, der bestimmte Aussagekraft hat, was ich bei Kultur nicht so ganz verstehe.) Der Essay beschäftigt sich mit der Frage, ob die Geschichte sich wiederholt, ohne sich wirklich mit den Ereignisse und der Gräueltät der jüngsten Geschichte, nämlich der des zweiten Weltkrieges und Holocausts, auseinanderzusetzen. Für mich schwebt die spezifische Frage, ob es wieder einen Holocaust geben wird. Diese Frage nicht darauf anzusprechen bewirkt sehr kommisch. Auf Seite 44 beschreibt er die damaligen Zustände als eine "überaus düstere Lage", doch Toynbee schaut genauso, wenn nicht mehr besorgt, über die mögliche Zukunft "unserer Kultur" angesichts des herantretenden Kaltenkrieges. Ich habe mich auch ständig beim Lesen gefragt, "Welche ist diese Kultur, die er immer als unsere bezeichnet und warum sieht er diese Kultur in einer solchen positiven Hinsicht?" (Die Frage hat sich etwa geklärt, als ich erfahren habe, dass er den Begriff "Civilisation" verwendet hat, den ich von ihm als westliche industrialisierte "Civilisation" verstehe.) Eigentlich geht er von einem für ihn völlig selbstverständlichen Kulturbegriff aus, den er kaum näher definiert. Die Entscheidung, den Begriff nicht zu erklären, wird am Schluss irreführend, weil es mir zB unklar war, ob er die Vereinigten Staaten und Russland beide als Teil "unserer" Kultur versteht. Ich frag mich auch, wie versteht er Faschismus im Zusammenhang mit westlichen Zivilisation? Gehört Faschismus auch dazu?

Eigentlich verstehe ich die selbstverständliche Darstellung der Begriffe als ein Merkmal des Essays. In einem Essay wird eine Sicht präsentiert, um die Leser_innen zu überzeugen, diese Meinung sich auch aufzunehmen. Statt kritisch über Terminologie und Begriffe zu diskutieren, werden Begriffe ohne Erklärung verwendet, teilweise um den Eindruck zu schaffen, dass wir gehen alle eh von ähnlichen Positionen aus. So wird zB in diesem Essay die Existenz Gottes als allgemeines Glauben ohne Diskussion angenommen. Von einer "gemeinsamer" Ausgangsposition wird zu denselben Schlussfolgerungen des Authors gelenkt, ohne viele (Selbst-)reflexion oder Auseinandersetzung mit Gegenargumente und -ansichten.

In einem Essay wird keine Fussnoten angehängt. Die Beispiele und Anspielungen sollen für ein breites Publikum verständlich sein. Hier verwendet Toynbee das Beispiel vom Friedenschluss am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, um zu argumentieren, dass es manchmal weniger Spielraum im menschlichen Agieren als wir glauben gibt. Das Beispiel besteht als allgemeines Wissen, was keine Zitierung braucht. Doch durch die allgemeine Beispiele und Darstellung von Ansichten, deren der Author auf Grund religiöses Lehren vertretet, erreicht der Diskurs keine wissenschaftlich Ebene.



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