Zu "Public History"

Kaspar Renner übt massive Kritik an den neuen Studiengang "Public History" an der FU Berlin in seinem Artikel "Powerpoint-Profis mit Kurzzeitgedächtnis", doch seine Schilderung des Studiums ist etwa vereinfacht. Für ihn fehlen Recherche und Quellenkritik, die er "Kernkompetenzen" nennt. Renner beschwert sich auch, dass das Studium auf Zeitgeschichte fixiert ist -- es setzt sich nicht mit anderen Epochen und ihren Quellen und Überlieferungen auseinander, was er als "Kurzzeitgedächtnis" bezeichnet.

Renner sieht das neue Studium als eher mit Form als mit Inhalt beschäftigt. Er betont die Wichtigkeit der EDV-Kenntnisse für das Studium, was er aber auf Powerpoint und Photoshop reduziert, als Kontrast zur Bedeutung von Forschung zB im Archiv. Dabei erwähnt er nicht, dass unter EDV-Kenntnis auch Kenntnis und Umgang mit geschichtswissenschaftlichen Datenbanken verstanden sind. Das Internet als Plattform zur Forschung hat immer größere Bedeutung, und ein kritisches Verständnis von Datenbanken, ihre Möglichkeiten, und ihre Schwäche braucht jede_r, die_der heute Geschichtsforschung macht. Durch die aus seiner Sicht fehlende Auseinandersetzung mit Quellenkunde sind die Student_innen der "Public History" unfähig Geschichte ernsthaft und fachwissenschaftlich zu vermitteln, u.a. weil die die Information nicht auswerten können. Doch Modul 4, Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit in historischer Perspektive, beschäftigt sich u.a. mit der Auswertung von verschiedenen Medien als Geschichtsquellen. Natürlich gilt diese als wichtige Skills für die Forschung der Zeitgeschichte. Also das Studium entschließt doch "fachwissenschaftliche" Qualifikationen ein, halt auf Zeitgeschichte und ihrer bedeutendsten Quellen bezogen.

Renners anderer großer Vorwurf war, dass der Studiengang "Public History" quasi nur auf die NS-Zeit und die DDR konzentriert. (Renner zeichnet daraufhin, dass diese zwei Themen "zufälligerweise" auch die Forschungsschwerpunkte der zwei Programmleiter, Paul Nolte und Martin Sabrow, sind.) Auch stellt Renner eine vereinfachte Version des Studiums dar. So wird nicht erwähnt, dass mögliche Seminarthemen für Modul 1, Themenfelder und Kontroversen der modernen Geschichte, die Französiche Revolution oder "Den Europamythos im 19. und 20. Jahrhundert" umfassen. Ein Auslandssemester wird auch empfohlen, was andeutet, dass die Student_innen sich mit Themen ausserhalb von der Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert beschäftigen sollen. Weil das Studium sehr Praxis orientiert ist, ist es doch möglich sich mit nur wenigen Themen, und dabei nur mit Themen in der Zeitgeschichte, zu beschäftigen. Trotzdem ist es irreführend, wenn Renner schreibt: "NS und DDR, das reicht."

Renners Kritik verbirgt die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung, die mindestens auf der Ebene der Zeitgeschichte stattfindet, aber im Artikel stellt er einige wichtige Frage: was ist die Rolle der_des Geschichtswissenschaftler_in? Was ist die Rolle von Geschichte in der Öffentlichkeit? Welche Qualifikationen braucht ein_e Historiker_in? Und ist Geschichte eine Wissenschaft oder eine Darstellung?

Renner antwortet für sich die Frage "Was ist die Rolle der_des Geschichtswissenschaftler_in" gleich am Anfang des Artikels. Nämlich er zitiert Schillers Idee, dass der ideale Gelehrte der "Universalhistoriker" ist. Renner glaubt, dass die_der Historiker_in ein vertieftes allgemeines Kenntnis der Geschichte benötigt. Sie_er muss mehrere Epochen studieren und sich mit verschiedensten Quellen (darunter Archivquellen) auskennen. Ihr_Sein allgemeines Wissen steht im starken Kontrast zu dem extrem spezifischen Wissen der_des "Public Historian." Auch wenn die sich mit den Themen, Problematiken und der Methodologie der Zeitgeschichte vertraut sind, heißt das nicht, dass die zB Zeitgeschichte im historischen Kontext adäquat auswerten könnten, weil die zu wenig Erfahrung mit älteren Quellen haben. Das wäre aber für eine_n Historiker_in Renners Schule kein Problem. Eine Zwischenalternative wäre das Masterstudium Geschichtsforschung, Historische Hilfswissenschaften und Archivswissenschaft, wie an der Uni Wien angeboten wird. Hier kann eine_r sowohl ein vertieferes Kenntnis zur Quellenkunde und gleichzeitig auch Ausbildung in EDV-Anwendungen, Museumskunde, usw bekommen. In diesem Studium muss mensch sich mit mehr als nur Zeitgeschichte beschäftigen, aber mensch lernt ähnliche Skills wie beim "Public History." Der Unterschied ist wohl, dass bei Geschichtsforschung die Student_innen am Schluss den "Universalhistoriker" von Schiller mehr ähneln werden.

Dann folgt die Frage, "Was ist die Rolle von Geschichte in der Öffentlichkeit?" Renner bedauert, dass "Public History" Programmleiter Paul Nolte von einer Wandlung von Geschichte als "Vergangenheits- zur Gedächtniswissenschaft." Für Renner ist die erste sachlich und die zweite eine Frage der Darstellung. Doch die Tatsache, dass "Public History" sich mit der Form der Vermittelung von Geschichte beschäftigt, spricht meiner Meinung nach nicht gegen das Studium. Das Studium nimmt halt Wahr, dass Geschichte aktiv produziert und dargestellt wird. Durch die aktive Gestaltung wird unterschiedliche geschichtsrelevante Informationen vermittelt oder eben nicht vermittelt. Wenn Geschichte und die öffentliche Diskurs darüber eine wichtige Rolle spielt für ein kulturelles Verständnis und/oder Weltansicht, haben die Vertreter_innen und Gestalter_innen der öffentlichen Geschichte sehr viel Macht und eine große Verantwortung. Bewußt mit dieser Macht der Vermittlung und Überlieferung umzugehen ist eine Möglichkeit, dass Historiker_innen sich mit ihren Verantwortungen auseinanderzusetzen. So zu tun, als ob Geschichte eine reine Wissenschaft ist, die objektive Tatsachen feststellt, bedeutet diese Verantwortung nicht anzuerkennen. Renner mag "an einem objektiven Wahrheitsbegriff fest[halten]", aber sein eigener Umgang mit der Darstellung des Masterstudiums "Public History" weist daraufhin, wie subjektiv Betrachtungen zur Geschichte und Gegenwart sein können. Die Herausforderung Geschichte bewußt und verantwörtlich zu vermitteln soll vielleicht doch einen besonderen Schwerpunkt eines Studiums und einer Ausbildung sein.
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